Nicht jeder „Entscheider“ kann wirklich etwas entscheiden

Im letzten Verkaufstipp (Nr. 80 „Kommen Sie Doch Mal Vorbei“ – Die Hidden Agenda Unseres Kunden“) wurde es schon kurz angeschnitten, es gibt Kunden, die vereinbaren einen Termin, um mit dem Verkäufer mal in Ruhe den Arbeitsalltag durchzusprechen. Kennen Sie solche Termine? Eines kann man nach solch einem Termin auf alle Fälle sagen: Es war nett. Sie haben zwar keinen Auftrag in der Tasche, aber Sie wissen jetzt sehr viel mehr über Ihren Gesprächspartner und auch über das Unternehmen, in dem er tätig ist. Wenn Sie das Gespräch auf der Rückfahrt Revue passieren lassen, schütteln Sie zum Teil immer noch den Kopf über das, was es alles so gibt und was Sie alles über das Unternehmen nicht gewusst haben.

Genau diese Situation entsteht oft dann, wenn Sie mit einem Empfehler im Kundenunternehmen sprechen. Stephan Heinrich hat in seinem Buch „Verkaufen an Top-Entscheider“ vier Arten von Gesprächspartnern im Kundenunternehmen identifiziert: Empfehler – Beeinflusser – Entscheider – Abzeichner.

Der Empfehler

Gerade, wenn Sie als Verkäufer aktive Kundenakquise durchführen und fragen, wer denn im Unternehmen für einen bestimmten Bereich zuständig ist, werden Sie oft an den „Empfehler“ verbunden. Er kennt sich an der Basis seiner Abteilung aus. Er ist auch oft bereit, sich mit einem Lieferanten auszutauschen. Zum einen, weil er seine Zeit einteilen kann und zum anderen, weil ihn alles interessiert, was seine Arbeitsumgebung und die der Kollegen in der Abteilung verbessert. Deshalb nimmt er sich Zeit für Sie, trinkt einen Kaffee mit Ihnen und hört Ihnen zu, wenn Sie ihm berichten, was es auf dem Markt in Ihrer Branche Neues gibt.

Er ist meistens technisch versiert und weiß eben genau, wo es derzeit in seiner Abteilung hakt und welche Lösung seine Probleme wegzaubern könnte. Und er erzählt viel. Über ihn erfahren Sie oft Dinge über das Unternehmen oder die Abteilung und natürlich auch über die Chefs, die Sie gar nicht wissen sollten. Er liefert Ihnen viele Hinweise über die täglichen Herausforderungen in der Organisation.

Er kann Kaufempfehlungen aussprechen und tut dies auch oft. Der Haken daran ist jedoch: Seine Empfehlungen können ignoriert werden. Außerdem weiß er oft wenig über die Entscheidungskriterien der tatsächlichen Entscheider. Er sieht seine Abteilung – die sehen das ganze Unternehmen. Da geht nicht jeder Wunsch des Empfehlers in Erfüllung.

Heißt das nun, dass er sich deshalb für einen Termin mit Ihnen disqualifiziert hat? Nicht grundsätzlich. Sie können nämlich durch ihn viele Dinge erfahren, die Ihnen bei den nächsten Gesprächstypen helfen werden, wenn es um die Überzeugungsarbeit geht. Der Empfehler hilft Ihnen dabei, Argumente zu sammeln, die die Vorteile Ihres Angebotes unterstreichen. Das bedeutet, wenn Sie sich auf einen Gesprächstermin mit dem Empfehler einlassen, dass Sie bestens mit Fragen vorbereitet sind und sich auch trauen, diese Fragen zu stellen. Wenn Sie erst vor Ort feststellen, dass Sie mit dem Empfehler sprechen und nicht mit dem Entscheider, ist die Enttäuschung groß, noch schlimmer, Sie haben auch viel Zeit verloren, die Sie nicht richtig genutzt haben.

Gerade bei Erklärungsbedürftigen technischen Produkten, die eher selten beim ersten Termin verkauft werden, ist der Empfehler goldwert. Die wichtigste Regel: Versuchen Sie nicht, ihm etwas zu verkaufen, versuchen Sie eher, so viel wie möglich an Informationen zu gewinnen.

Der Beeinflusser

Anders ist es mit dem Beeinflusser. Wer genau ist das und wann treffen Sie ihn an? Nun, es ist nicht selten, dass der Beeinflusser sich bei Ihnen meldet. Entweder, weil Ihr Angebot durch den Empfehler tatsächlich die richtigen Stellen im Unternehmen erreicht hat oder weil es eben ein Problem im Unternehmen gibt, das gelöst werden soll. Die Aufgabe des Beeinflussers ist es nun, den Markt nach dem „richtigen“ Angebot zu durchsuchen. Dabei soll er eine neutrale, korrekte und übersichtliche Marktanalyse durchführen, um dem Entscheider am Ende alle wichtigen Details Ihres und anderer Angebote vorzustellen.

Das größte Handicap des Beeinflussers ist, dass er oft mit dem Entscheider verwechselt wird. Erfolgreiche Verkäufer klären immer vor dem Termin, wer denn im Unternehmen der Entscheider sei. Und erhalten gerade vom Beeinflusser oft die Aussage: „Das bin ich.“ Nicht, weil er Sie bewusst anlügt. Nein, er ist überzeugt davon, dass er entscheidet oder zumindest mitentscheidet. Um herauszufinden, wer der Entscheider im Unternehmen ist, fragen viele Verkäufer folgendermaßen nach: „Wer entscheidet bei Ihnen im Hause, welches Angebot zum Zuge kommt?“ Aufgrund des gerade beschriebenen Missverständnisses empfiehlt „Verkaufen auf Augenhöhe“ die Frage so zu stellen: „Wer entscheidet denn im Unternehmen mit Ihnen mit, wenn es um die Auswahl des Lieferanten oder des Angebotes geht?“ Hier erhalten Sie eher die korrekte Antwort: „Ich treffe die Vorauswahl und Herr Mustermann die endgültige Entscheidung.“ Oder: „Ich und Herr Mustermann.“ Ihre nächste Frage würde dann lauten: „Was ist Ihre Aufgabe dabei und welche Rolle spielt Herr Mustermann?“ Als weitere Möglichkeit hat sich auch folgende Frage als zielführend erwiesen: „Wer unterzeichnet nach Ihnen den Auftrag/Kaufvertrag oder Ähnliches?“ 

Stellen Sie den Champagner nicht zu früh kalt 

Gerade, wenn es um die Nachverfolgung von Angeboten geht, erzählt Ihnen der Beeinflusser gerne, dass Sie ganz vorn liegen und es für Sie sehr gut aussieht. Vor allem dann, wenn er tatsächlich Ihr Angebot besonders schätzt. Es muss dieses oder jenes Meeting abgewartet werden und dann werden Sie angerufen und erhalten voraussichtlich den Auftrag. Viele Verkäufer stellen jetzt schon mal den Champagner kalt. Wenn dann der erwartete Anruf ausbleibt und Sie sich deshalb nochmals aktiv beim Beeinflusser melden, kommt es nicht selten vor, dass Sie darüber informiert werden, dass nun doch ein anderer Anbieter den Auftrag bekam. Der Beeinflusser ist dann mindestens genauso irritiert wie Sie, weil er ja überzeugt war, dass Sie am Zuge sind. Jeder Verkäufer, der schon etwas länger in diesem Metier unterwegs ist, kennt solche Situationen.

Was ist passiert? Nun, denken Sie an eine größere Anschaffung in der letzten Zeit zurück, bei der Sie auch einige Informationen im Vorfeld gesammelt haben. Nehmen wir an, es zeichnete sich langsam Ihr Favorit ab, aber, um ganz sicher zu gehen, haben Sie sich nochmals mit einem Kollegen oder Freund beraten. Und nehmen wir auch an, dieser Kollege oder Freund hat Ihnen ein anderes Produkt empfohlen, als eben das, wofür Sie sich bereits innerlich entschieden hatten. Was passierte, während Ihr Freund von „seiner“ Empfehlung schwärmte? Sie haben im Kopf oder vielleicht sogar im Gespräch nach Argumenten gesucht, um Ihre Entscheidung zu verteidigen. Und je mehr Sie das getan haben, desto mehr blieben Sie Ihrer Entscheidung treu. Wenn Ihr Gesprächspartner also kein echtes KO-Argument lieferte, sind Sie am Ende noch bestärkter für Ihre Entscheidung aus dem Gespräch gegangen.

„Politische“ Entscheidungen sind oft nur Ausreden

In solchen Momenten sagen Ihnen die Beeinflusser dann gerne, dass es eine politische Entscheidung war, dass Sie als Favorit herausgefallen sind. Sie konnten nichts dafür, der Beeinflusser auch nicht, es war einfach höhere Gewalt oder Schicksal. Der tatsächliche Fehler lag jedoch ganz wo anders. Sie hatten nie mit dem Entscheider persönlich gesprochen. Dadurch wussten Sie nicht, worauf der Entscheider tatsächlich Wert legt. 

Für Sie als Verkäufer ist es nun wichtig, dass Sie nicht versuchen, den Beeinflusser zu beeinflussen oder zu manipulieren. Stellen Sie ihm so viele Fakten wie möglich zur Verfügung. Helfen Sie ihm, dass er seiner Aufgabe, nämlich Informationen zu sammeln, problemlos nachkommen kann, wenn es um Ihr Angebot geht. Achten Sie darauf, dass Sie weniger auf die technischen Neuerungen hinweisen, sondern mehr auf bewährtes und auf die Qualität. Sie sollten auch wissen, dass der Beeinflusser gerne die Nachteile betont und versucht, Ihre Argumente zu entkräften. Er will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, er würde irgendein Angebot aus persönlichen Gründen vorziehen. Er will als vollkommen neutral gelten. Bitte versuchen Sie auch nicht, ihm etwas zu verkaufen oder ihn mit Argumenten zu manipulieren.

Einen Termin vereinbaren oder keinen Termin vereinbaren 

Im letzten Verkaufstipp haben Sie gelesen, dass es nur einen guten Grund gibt, zu einem Termin zu fahren, nämlich dann, wenn Ihr Gesprächspartner auf die Frage „Herr Kunde, angenommen, mein Angebot ist genau das, was Sie brauchen, was werden Sie dann tun?“ mit „Dann kaufen wir bei Ihnen.“ antwortet. Nun, wenn Sie bisher mit dem Beeinflusser gesprochen haben, wird er Ihnen folgendermaßen antworten:

„Dann werde ich mit Herrn XYZ sprechen, welches Angebot nun ausgewählt wird.“ oder „Dann werde ich Herrn XYZ Ihr Angebot wärmstens empfehlen.“ Beide Antworten zeigen Ihnen deutlich, dass Herr Beeinflusser keine Entscheidung alleine treffen kann. Sollten Sie jetzt zum ersten Mal von dem „anderen“ Entscheider hören, ist das immer noch eine gute Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Die Frage nach diesem Gespräch könnte lauten: „Damit ich Ihnen ein auf Ihre firmenspezifische Situation angepasstes Angebot erstellen kann, schreiben unsere Zertifizierungsvorschriften vor, dass ich 10 Minuten mit dem Entscheider spreche. Bitte verbinden Sie mich mit ihm oder lassen Sie uns einen Termin vereinbaren, bei dem ich diese 10 Minuten mit dem Entscheider habe.“

Wenn Sie sich bei Ihrer Angebotserstellung oder Ihrer Vorbereitung auf den Termin nur auf die Aussagen des Beeinflussers verlassen oder auf die Gespräche mit dem Empfehler, ist es reine Glückssache, wenn Sie den Auftrag bekommen. Denn Sie müssten sozusagen die Motivation für die Auftragsvergabe des tatsächlichen Entscheiders erraten. Das ist ungefähr so zuverlässig wie Lotto zu spielen. Dass Sie gewinnen, kommt schon mal vor, aber äußerst selten und es ist reine Glücksache. Erfolgreiche Verkäufer verlassen sich hier eher auf ihr Wissen und ihre erprobte Analyse im Gespräch mit Entscheidern.

„…was werden Sie dann tun?“

Sollte der Beeinflusser auf die Frage: „…was werden Sie dann tun?“ folgendermaßen antworten:

 „Ich will zuerst Ihr Angebot kennenlernen und dann schauen wir weiter. Herrn Entscheider kann ich dann später immer noch ansprechen, wenn ich Ihr Angebot gut finde.“

Dann sollte Ihre Antwort als Verkäufer lauten:

 „Herr Beeinflusser, ich komme gerne zu Ihnen, um Ihnen unsere Lösung zu präsentieren. Dabei werde ich Ihre Wünsche und Vorstellungen berücksichtigen. Ich werde Ihnen eine Lösung bieten, die genau Ihren Vorstellungen entspricht und einen echten Mehrwert für Sie darstellt. Im Gegenzug dazu wünsche ich mir das faire Gespräch mit allen Entscheidern, damit wir gemeinsam entscheiden, wie Sie unsere Lösung einsetzen. Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Ich komme, wenn Herr Entscheider grundsätzlich im Hause ist. Ich präsentiere Ihnen unsere Lösung und wenn Sie sagen, das ist genau das, was Sie brauchen, holen wir Herrn Entscheider dazu. Gemeinsam zeigen wir ihm dann das Programm und beantworten seine Fragen. Sind Sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden?“

Diese Vorgehensweise kann Ihnen so manche Lustreise ersparen. Probieren Sie es aus, es funktioniert öfter als Sie es sich im Moment vorstellen können. Was können Sie verlieren? Entweder der Beeinflusser geht darauf ein oder Sie müssen die Entscheidung treffen, ob Sie nun den Termin vereinbaren, obwohl der Entscheider nicht dabei ist oder eben nicht. Sie haben natürlich auch die Möglichkeit, in diesem Stadium der Angebotsphase den Beeinflusser in Ihr Haus zu holen. Wenn Sie dafür einen triftigen Grund haben, der die Motivation, nämlich das Sammeln von Informationen, des Einkäufers stark unterstützt, kann es gut sein, dass Sie viel Zeit sparen, weil der Beeinflusser jetzt zu Ihnen kommt.

Schätzen Sie Ihre Gesprächspartner richtig ein

Seine Gesprächspartner richtig einzuschätzen und genau zu wissen, wen Sie vor sich haben, unterstützt Sie dabei, Kaffeefahrten und/oder Lustreisen so weit als möglich zu vermeiden. Meine 35-jährige Verkaufserfahrung hat mir immer wieder gezeigt, wenn meine Gesprächspartner nicht bereit waren, meine Fragen mit vernünftigen bzw. wertschätzenden Antworten zu beantworten, dann gab es am Ende immer in irgendeiner Form Ärger. Den Auftrag nicht bekommen zu haben, konnte unter Umständen das kleinste Übel dabei sein.

Bleiben Sie konsequent, wenn es um Ihre vorher festgelegten Regeln geht, wie sich Ihre Kunden bei Ihnen qualifizieren können. Jedes Angebot, jede Fahrt und jede Vorbereitung auf Ihre Kunden bedeutet, dass Sie Zeit und Geld investieren, um diesen Kunden zu gewinnen, aber auch, um ihn als Kunden zufriedenzustellen. Diese Investition sollten Sie gerne tätigen, doch im Gegenzug sollte Ihr potenzieller Kunde seinerseits auch in Sie als zukünftigen loyalen Lieferanten investieren.

Die Lieferenten-Kunden-Beziehung ist heute ein Geben und Nehmen. Ihre Kunden brauchen Sie genauso wie Sie Ihre Kunden brauchen. Das Modell „Der Kunde ist König“ ist schon seit langem ausgestorben. Es kostet einen Kunden enorm viel Zeit und Geld, wenn er einen Lieferanten austauschen muss. Besonders dann, wenn es um erklärungsbedürftige, technische oder anderweitig anspruchsvolle Produkte oder Dienstleistungen geht. Sehen Sie Ihren Kunden hier auf Augenhöhe, lassen Sie sich aber auch auf Augenhöhe sehen.

Sie sind das Beste, was Ihrem Kunden heute passieren konnte, vergessen Sie das nicht!

Mit Verkaufen auf Augenhöhe wünsche ich Ihnen sehr viel Erfolg dabei.

Ihre

Gaby S. Graupner

P.S.: Ihnen ist aufgefallen, dass am Anfang von vier unterschiedlichen Gesprächspartnern die Rede war? Und wer verflixt ist nun der Entscheider? Antworten auf diese Fragen erhalten Sie im nächsten Verkaufstipp am 30. März 2017. Versäumen Sie ihn nicht!