Ihr Kunde hat immer recht – oder eben nicht?

„Der Kunde hat immer recht“, führt heute zu einigen Irritationen, besonders bei den eigenen Mitarbeitern, denn Kunden haben nicht immer recht. Sie sind Menschen, genauso wie die Lieferanten oder Verkäufer. Menschen irren sich. Menschen sehen die Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Menschen verfügen aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen über eine differenzierte Meinung, wie etwas sein muss. Außerdem verwechseln manche Menschen ihre Erwartungshaltung mit den tatsächlichen Umständen, Ergebnissen oder Lösungen.

Gerade der Satz: „Der Kunde hat immer recht“, führt dazu, dass Kunden hie und da zu der Überzeugung gelangen, dass sie sich zwar irren können, das aber nichts ausmache, denn sofort tritt Paragraph 1 in Kraft: Sie haben trotzdem recht!

Im Konsensitiven Verkaufen treffen sich Kunde und Verkäufer auf Augenhöhe, das gilt auch in der Reklamation.

Der Fehlerteufel

Nehmen wir an, Ihr Kunde hat Ihnen eine Bestellung gesandt, die auch bereits ausgeliefert wurde. Nehmen wir weiter an, Ihr Kunde meldet sich nun bei Ihnen und behauptet, Sie hätten ein bestimmtes Werkzeug, das er extra mitbestellt hat, nicht geliefert. Und nehmen wir außerdem an, er ist dabei sehr aufgeregt, weil das Werkzeug ein wichtiger Bestandteil zum Aufbau der Ware darstellt und er jetzt deshalb nicht weitermachen kann. Er bringt „Ihre Vergesslichkeit“ nicht freundlich umschrieben zum Ausdruck, sondern sehr klar und deutlich mit viel Missmut in der Stimme. Ein Blick auf die Originalbestellung zeigt Ihnen sofort, der Fehler liegt beim Kunden und nicht bei Ihnen. Was er nicht bestellt hat, können Sie nicht liefern.

Viele Verkäufer antworten nun folgendermaßen: „Es tut mir leid, aber der Fehler liegt bei Ihnen. Sie haben nicht bestellt.“ Tja, und wer hört das schon gerne. Tatsache hin, Tatsache her. Besonders, da der Kunde Sie ja bereits anblaffte, bleibt er oft erst einmal bei seinem eingeschlagenen Weg und streitet seinen Fehler ab. Schnell entwickelt sich ein Streit, der beiden schadet, dem Kunden und Ihnen. Oft kommt noch erschwerend hinzu, dass jetzt auch andere Begebenheiten einfließen, bei denen eventuell ein Fehler Ihres Unternehmens vorlag, woran sich im Detail aber keiner mehr erinnern kann. So gibt ein Wort das andere. Hier können Sie nur verlieren.

Bedeutet das, dass Sie deshalb jeden Fehler auf die eigene Kappe nehmen müssen, Ihr Kunde von Anfang an immer die Absolution erhält und Sie den „schwarzen Peter“? Nein, so ist es nicht gemeint. Doch sofort mit dem Finger auf den Kunden zu zeigen, hilft auch nicht. Besser ist es da, einen „bösen“ Dritten zu finden. Vor Jahren habe ich dazu den „Fehlerteufel“ zum Leben erweckt. Als Sie diesen Satz gerade lasen, wie sah Ihr Fehlerteufel in Ihren Gedanken aus? Welches Bild schoss Ihnen sofort in den Kopf? Dieser Begriff löst ein Kopfkino aus und dies ist meistens positiv besetzt. Zum Beispiel als kleiner roter Teufel mit zwei gelben Hörnern und einem Grinsen im Gesicht. Sehen Sie ihn?

Ihr Dialog dazu würde so aussehen:

Kunde: Das Werkzeug A ist nicht bei der Lieferung dabei gewesen.

Sie sehen, der Fehler liegt beim Kunden und antworten: „Da hat sich wohl der Fehlerteufel eingeschlichen. Das tut mir leid. Sie erhalten das fehlende Werkzeug morgen mit der nächsten Auslieferung.“

Der Sinn dieser Aussage liegt darin: Sie sind okay, der Kunde ist okay, aber der böse Fehlerteufel. Ihr Kunde wahrt sein Gesicht und Sie müssen nicht einen Fehler auf sich nehmen, der gar nicht durch Sie verursacht wurde. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass von zehn Kunden acht erwidern: „Wahrscheinlich ist es mein/unser Fehler. Wir haben wohl vergessen, es zu bestellen.“ Sie haben dazu mit der Aussage vom „Fehlerteufel“ eine Brücke gebaut. Ihre Antwort darauf: „Wichtig ist jetzt, dass Sie das Werkzeug so schnell als möglich bekommen, deshalb…“

Oops, der Fehler liegt bei Ihnen…

Probieren Sie es aus und lassen Sie Ihren Kunden das Gesicht wahren. Was Sie tun können, wenn Ihr Kunde aber darauf beharrt, dass es Ihr Fehler war und nun Regressansprüche, in welcher Form auch immer, stellt, erfahren Sie im Teil vier dieser Verkaufstipp-Serie zum Thema Reklamationen.

Nun, da auch Sie und Ihre Kollegen nur Menschen sind, kann der Fehler auch einmal eindeutig bei Ihnen liegen. Was ist zu tun? Entschuldigen Sie sich. Es erstaunt mich immer wieder, wie schwer es Menschen fällt, sich einfach mal zu entschuldigen. Dabei wären die meisten Probleme auf diese Art und Weise sofort aus der Welt geschafft. Nun, vielleicht liegt es ja daran, dass manche Menschen vergessen haben, wie eine Entschuldigung geht. Bevor Sie nun einige Entschuldigungsvarianten erhalten, lesen Sie dazu eine Geschichte aus meinem Erfahrungsschatz:

Vor einigen Jahren wurde ich in eine Vertriebsinnendienst-Abteilung gerufen, weil die Mitarbeiter sich reihenweise krankschreiben ließen, da es im Unternehmen zu einem längerfristigen Auslieferungsproblem gekommen war und man am Anfang versäumt hatte, die Kunden darauf vorzubereiten. Es gab also ein Problem, das sich im Laufe der Zeit immer mehr steigerte und die Kunden immer ärgerlicher machte und diesen Ärger ließen sie dann an den Mitarbeitern des Unternehmens aus. Wir teilten die Kunden damals in drei Stufen ein und entwickelten dazu drei Varianten von Entschuldigungen.

Kann man Entschuldigungen steigern? 

Die einfachste Form der Entschuldigung ist aus meiner Sicht „Entschuldigung“ (‘tschuldigung), es wird meist leicht genuschelt oder „Sorry“, was oft sehr salopp und schnell gesagt wird. In vielen Fällen reicht das, in manchen Branchen oder bei manchen (besonders älteren) Kunden ist das ein wenig zu leger.

Unsere Variante 1 war damals: „Entschuldigen Sie bitte.“ Diesen Status wandten wir bei Kunden an, die zum ersten Mal anriefen, da sie gerade eben von dem Problem betroffen waren.

Die Variante 2 hörte sich folgendermaßen an: „Ich bitte Sie um Entschuldigung, Sie haben recht.“ Diese Variante wurde bei Kunden eingesetzt, die bereits zum wiederholten Male anriefen.

Die dritte Variante lautete: „Ich bitte Sie um Verzeihung. Ich kümmere mich persönlich darum, dass Sie informiert werden, sobald die Produkte wieder verfügbar sind. Dazu habe ich Ihren Namen auf meiner Liste notiert.“ Diese Form der Entschuldigung wurde verwendet, wenn der Kunde schon wochenlang auf eine Lösung wartete und er bereits selbst einigen Ärger durch seine eigenen Kunden hatte. Erstaunlicherweise änderte sich das Verhalten der Kunden, die gerade vor lauter Verzweiflung noch schimpften und teilweise sogar sehr ausfallend waren, sie entschuldigten sich jetzt und fingen an, über Lösungen nachzudenken beziehungsweise den/die Mitarbeiter/in des Lieferanten in Schutz zu nehmen.

Kurzer Sidestep: Nein, die Kunden konnten nicht zum Mitbewerber gehen und nein, es gab keine Alternativprodukte – die einzige Lösung für beide Seiten war: abwarten.

Zurück zur Entschuldigungsvariante 3. Diese Form der Entschuldigung istin unserem Sprachgebrauch schon lange nicht mehr alltäglich. Sie klingt ungewöhnlich, sehr tragend und schwer. Ich denke, deshalb wirkte sie auch so gut. Das funktioniert natürlich nur, wenn Sie es auch annähernd so meinen. Ich verwende diese Form selten, aber wenn, dann habe ich auch wirklich einen echten Fehler begangen, der mein Gegenüber viel Schweiß, Ärger oder anderen Aufwand gekostet hat.

Sehr viel alltäglicher sind die Varianten 1 und 2 – doch auch hier komme ich meistens sehr schnell an mein Ziel, nämlich, dass mein Gegenüber und ich uns Gedanken darüber machen, wie wir „die Kuh vom Eis bekommen“, denn am Ende zählt doch, dass es für beide Seiten sinnvoll weitergeht. Sie erinnern sich an unseren letzten Verkaufstipp Nr. 83: Achtung, wichtiger Rückruf! Am Ende 51:49, damit Ihnen Ihr Kunde noch lange erhalten bleibt.

Ich war’s nicht!

Vielen von Ihnen ist es durchaus klar, wenn Sie einen Fehler gemacht haben, dann entschuldigen Sie sich sowieso, das sagt schon die gute Kinderstube. Doch wie gehen Sie vor, wenn der Fehler bei Ihrem Kollegen liegt?

Rutschen Ihnen dann Sätze raus, wie: „Das war ich nicht, dass war mein Kollege.“ Nein? Sie stellen sich selbstverständlich auch vor Ihren Kollegen und entschuldigen sich, als wären Sie selbst es gewesen. Das ehrt Sie! Und ist genau die richtige Reaktion.

Und wie ist es, wenn die Logistik-Abteilung oder die Kommissionärin den Fehler gemacht hat? Auch hier entschuldigen Sie sich sofort persönlich? Dann sind Sie schon weiter als viele andere Verkäuferinnen und Verkäufer, die oft der Meinung sind, dass das ja schließlich nicht ihr Fehler oder der Fehler ihrer Abteilung war. Schließlich muss man ja nicht für andere „die Schuld“ auf sich nehmen.

Letzte Frage: Wie ist es, wenn der Fehler bei DPD, der Telekom, der Deutschen Bahn oder dem Dienstleister XYZ liegt – also außerhalb Ihres eigenen Unternehmens? Ja, aber das ist ja nicht unsere Firma, antworten mir hier oft die Teilnehmer.

Lassen Sie uns noch ein Gedankenspiel durchgehen. Angenommen, Sie haben beim Versandhandel 123 ein blaues T-Shirt bestellt und öffnen das Paket. Ihre erstaunten Augen erblicken ein T-Shirt in rosa und sie hassen rosa. Sofort rufen Sie beim Versandhaus 123 an. Es meldet sich: „Sylvia Mustermann, Versandhandel 123, was kann ich für Sie tun?“ Sie schildern Ihr Erstaunen über „rosa“ und erhalten Antworten wie: „Dann haben Sie falsch bestellt“, „Wir machen nie Fehler“, „Wer Bestellungen richtig ausfüllen kann, ist klar im Vorteil“

Nachdem Sie zwar am Ende das T-Shirt zurücksenden können, aber weder eine Entschuldigung noch sonst ein nettes Wort erhalten haben, legen Sie auf. Auf diesen Schreck brauchen Sie erst einmal einen Kaffee, stehen auf und laufen zur Kaffeemaschine, wobei Ihnen unterwegs ein netter Mensch begegnet, dem Sie Ihre Empörung über das gerade Erlebte mitteilen. Wie wird Ihre Aussage lauten? „Die Frau Mustermann ist vielleicht eine dumme Pute, sie hat ….“ oder sagen Sie „Der Versandhandel 123 ist das Schlimmste, was ich in den letzten fünf Jahren erlebt habe…“

Sie werden wahrscheinlich die zweite Variante verwenden, auch wenn Sie den Namen von Frau Mustermann nicht nur verstanden, sondern mehrmals im Gespräch genannt haben. Als Kunden sind wir meistens über das gesamte Unternehmen ärgerlich und nicht nur über eine Person. Wir differenzieren hier nicht. Mitgehangen, mitgefangen. Macht einer etwas falsch, macht in unseren Augen das gesamte Unternehmen etwas falsch. Dies gilt auch für unsere Kunden und unser Unternehmen. Auch wenn bis zur Auslieferung alles genau nach Plan lief und der Fehler erst durch die Spedition, den technischen Dienstleiter oder einen anderen Dritt-Partner von uns passiert ist. Unser Kunde differenziert hier nicht und das zu Recht. Denn wir haben den Dienstleister ausgewählt und tragen deshalb die Verantwortung für seine Leistung und entschuldigen uns eben persönlich, wenn hier was schiefläuft. Wenn Sie anschließend den Dienstleister anrufen und ihn an den Ohren ziehen, ist das vollkommen legitim, aber betrifft eben nur Sie und ihn. Für Ihren Kunden ist es eine geschlossene Einheit.

Der Kunde hat immer recht, macht Mitarbeiter unglücklich

Kommen wir noch einmal zum Anfang des Verkaufstipps zurück. Nicht jeder Kunde verhält sich partnerschaftlich. Manche Kunden schlagen nicht nur mit ihren „Forderungen zur Wiedergutmachung“, sondern auch mit ihrem Ton und ihrem Verhalten stark über die Norm hinaus. Dann ist es wichtig, dass Sie Ihrem Mitarbeiter zuhören und ihm zur Seite stehen. Im Verkaufen auf Augenhöhe sehe ich meinen Mitarbeiter immer als meinen ersten(!) Kunden und entsprechend behandle ich ihn auch. Untersuchungen haben ergeben: Wenn Mitarbeiter wissen, dass ihr Chef und ihr Unternehmen hinter bzw. vor ihnen stehen, setzen sie sich mehr für die Kunden des Unternehmens ein. Sie sind im Alltag mit ihren Kunden sehr viel motivierter und haben mehr Energie. Es macht ihnen Spaß, ihrem Kunden Service zu bieten und sich anzustrengen, dass ihr Kunde sich wohlfühlt. Auch wenn Kunden sich dabei nicht immer von der besten Seite zeigen, sind die Mitarbeiter langmütiger und geduldiger. Denn sie wissen, dass ihr Unternehmen zu ihnen hält, wenn sie den Kunden in die Schranken verweisen, wenn ein bestimmter Punkt überschritten ist.

Mitarbeiter sind nicht die Fußabtreter der Unternehmenskunden. Jeder darf sich mal ärgern und oft hat der Kunde auch Grund dazu, er kann seinen Ärger auch zum Ausdruck bringen. Beschimpfungen, Beleidigungen und mehr als überzogene Forderungen bringen aber weder Ihr Unternehmen, noch Sie als Verkäufer in irgendeiner Form weiter. Kunden sind für Ihr Unternehmen äußerst wertvoll, aber nicht unersetzbar.

Erfolgreiche Grüße sendet Ihnen

Gaby S. Graupner